Ottonenzeit

2021 und 2022 – Gute archäologische Jahre für die Ottonenzeit in Sachsen-Anhalt

Nach einiger Zeit endlich wieder ein Blogbeitrag: Es geht um Archäologie in Sachsen-Anhalt. Hier wurden vermehrt Fundkomplexe aus der Ottonenzeit ausgegraben, was uns sehr freut. Bereits im Juni 2021 berichteten wir über die Radegundiskirche in Helfta. Das war aber erst der Auftakt. Die Informationen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt (LDA) über diese Forschung sollen in diesem Artikel zusammenfassend vorgestellt werden.

Helfta, eine bedeutende ottonische Pfalz

Beginnen wir mit Helfta. „Kaiser Ottos vergessene Kirche in Helftahatten wir unseren Artikel genannt, dabei aber ganz vergessen, wer uns zuerst mit der bedeutenden Rolle von Helfta als ottonische Pfalz vertraut gemacht hat. Im Rahmen des Schülerprojektes 2001 „Ottonenzeit“, aus der sich später unser Verein entwickelte, wurden wir auf die Arbeit von Joachim Hermann in Helfta aufmerksam gemacht. Hans Hermann würdigt ausführlich die Arbeit seines Vaters im Artikel „Die ottonischen Königspfalz Helfta – Ein Beitrag zur Pfalzenforschung in Sachsen-Anhalt“ (Archäologie in Sachsen-Anhalt 10/21, ab S. 70 – 83) . Denn es war ein langer Weg, Hermann spricht von über 130 Jahren, von den ersten Fundstücken in „Frickes Garten“ bis zur sicheren Lokalisierung der Pfalz auf dem Hügel „Kleiner Klaus“. Mögliche Kandidaten waren auch der „Hausberg“ und der „Großer Klaus“. Bereits 1895 war dort ein Kirchenfundament gefunden worden (St. Gumberg). Die Planskizze (s.u.) von Joachim Hermann von 1991 sieht Kirche und Palas der Pfalz auf dem „Kleinen Klaus“ vor. Nach ersten Prospektionen 2008 unternahm das LDA 2009 weitere Messungen und eine vormals große Kirche, vermutlich die in Quellen erwähnte St. Radegunde, wurde nachgewiesen. Die Vermutungen von Joachim Herrmann schienen richtig zu sein. Sein Sohn, Hans Hermann, schreibt deswegen am Ende des Artikels über Helfta:

Die gesamte Königspfalz Helfta muss in ottonischer Zeit herrschaftlich großzügig und für alle Anforderungen eines Königs ausgebaut gewesen sein. Das Otto II., der am Vorabend seines Italienzuges das ottonische Kerngebiet bereiste, sich hier länger aufgehalten hat, beweist eine von ihm für das Kloster Einsiedeln im Jahr 980 in Helfta ausgestellte Urkunde.“

Planskizze von Joachim Hermann von 1991 aus Archäologie in Sachsen-Anhalt 10/21
  • Leider kein digitales Nachlesen der vorgestellten Quelle möglich.

Im Mai 2022 veröffentlichte das Landesamt einen „Fund des Monats“, der Helfta betraf. Die Vermutungen von Herrn Hermann bez. der Bedeutung der Anhöhe „Kleiner Klaus“ werden mehr als bestätigt:

Buchstäblich übereinander liegen hier die Relikte einer fränkischen Burg der Karolingerzeit, einer ottonischen Königspfalz mit einer von Otto dem Großen vor 968 gestifteten Kirche, der hochmittelalterlichen Vorgängersiedlung Helftas und der hoch- und spätmittelalterlichen Burg gleichen Namens. … Hinzu treten, neben jungsteinzeitlichen Funden, auch die Relikte einer intensiv genutzten, möglicherweise befestigten Siedlung der vorrömischen Eisenzeit.“

Daneben werden zahlreiche Tracht- und Schmuckbestandteile aus der Karolinger- und der Ottonenzeit aufgefunden. Diese sind z.T. Streufunde, z.T. stammen sie als Trachtbestandteile aus Gräbern. Herausgegriffen hat das Landesamt zwei wunderschöne Riemenzunge. Diese sind durch Metalldetektorprospektionen 2021 auf dem Gelände gefunden worden. Vergoldetes Bundmetall beeindruckt mit Tierornamentik. Interessanter sind für uns die Funde aus ottonischer Zeit:

Innerhalb des Gotteshauses sowie auf den Friedhofsarealen in ihrem Norden und Süden waren mehrere Hundert Tote bestattet worden, darunter etliche in aufwändig gestalteten Sarkophagen und Grüften. Sie datieren im Schwerpunkt in das 10. bis 12. Jahrhundert, wie einerseits die häufigen, für jene Zeitspanne typischen, anthropomorph gestalteten Grabgruben (sogenannte Kopfnischengräber), andererseits Beigaben des 10./11. Jahrhunderts erweisen: Scheiben-, Brezel-, gleicharmige Fibeln, Riemenzungen, Dreibeeren- und Hakenohrringe, Fingerringe und Ähnliches.“

Abb. 6: Helfta, »Kleine Klaus«, Scheibenfibel mit blauem Glasfluss, Durchmesser 1,7 Zentimeter. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Friederike Hertel.

Typisch für die Ottonenzeit sind die kleinen Scheibenfibeln (bei der obigen Abbildung 1,7 cm), die „typisch für die ottonenzeitliche Tracht gelten“. Die Schreiber des „Fund des Monats“ halten die ottonischen Scheibenfibeln für vorrangig von Frauen und Kindern getragen. Die ottonische Buchmalerei zeigt dazu im Gegensatz genug Beispiele für die Trageweise bei Männern, siehe Beispiel:

Folio 43v, Gebetbuch Otto III., Faksimile im Besitz des Autors.

Die Grabungskampagne 2022 in Helfta wandte sich Überresten des Palatiums zu. Vorgestellt wurden die Ergebnisse am 26. September. Die von Otto I. vor 968 gegründete Radegundis-Kirche war eine etwa 30 m lange, dreischiffige und kreuzförmige Basilika mit Querschiff. So war auch ein großes Hauptgebäude der Pfalz zu erwarten. Und tatsächlich: Ausgegraben wurde nun ein „mit mindestens 20 Metern Länge und 7 bis 12 Metern Breite sehr große, in mehrere Räume unterteilte und ehemals zweistöckige Steingebäude“. Sogar eine Heizanlage konnte nachgewiesen werden. Solche großen Pfalzgebäude kamen zwar vor, waren aber eher selten. Dies spricht für die besondere Bedeutung von Helfta. Leider verging der Glanz rasch, denn bald nach dem Jahr 1000 wurde der Bau abgetragen. Helfta hatte seine Bedeutung für den Kaiser verloren.

Doch hinterließ er uns viele Funde, „darunter Gewandspangen, Tracht- und Schmucksachen, Münzen, große Mengen von Keramik, Tierknochen und ähnliches.“

Es wurden mehrere Eingänge des Helftaer Palatiums dokumentiert. Über die Jahrhunderte hinweg erhielt sich an mehreren Stellen sogar der Wandverputz. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Felix Biermann.

Memleben, der Sterbeort der Ottonen

Der Styx der Ottonen war die Unstrut. In der lieblich gelegenen Pfalz Memleben starb es sich anscheinend gut und würdevoll. Für das Reisekönigtum der Herrscher des Frühmittelalters hatten Pfalzen die Bedeutung von zeitweiligen Hauptstädten. Memleben war bereits in karolingischen Zeiten eine Herrscherpfalz und behielt diese Bedeutung unter den Ottonen bei. Besonders König Heinrich I. liebte diesen Ort und starb hier im Jahre 936. Königin Mathilde betete den Chroniken nach in der Pfalzkirche, als es den König zu seinem Schöpfer befahl. Als Otto I. nach einem langjährigen Italienaufenthalt und dem großartigen Hoftag 973 zu Ostern in Quedlinburg feierte, hatte er unsägliche Strapazen hinter sich, war Kaiser geworden, hatte seinen Sohn mit der Griechin Theophanu verheiratet und das Reich geordnet. Nun ging er zur Erholung nach Memleben oder war er bereits entschlossen, nach seinem Vater über die Unstrut zu rudern? Ob bereits mit dem Leben abgeschlossen oder aus dem prallen Herrscherleben geworfen, jedenfalls starb auch Otto I. 973 in dem Ort an dem kleinen Fluss. Die Chroniken vermitteln uns das Bild eines würdigen und gefassten Sterbens.

Die ca. 82 Meter lange und 39,5 Meter breite Monumentalkirche ist in ihrer Größe mit den erzbischöflichen Bauten in Magdeburg, Köln und Trier vergleichbar.“, so das LDA. Wie diese Kirche aussah, ließ sich bislang nur aus dem vor Ort freigelegten Grundriss ermessen, der aber viele Fragen offen lässt. Ab 2017 gibt es nun neue archäologische Lehr- und Forschungsgrabungen. Ab August 2021 widmeten sich 18 Studenten der Kirche. Dabei stellten sich die Archäolog/innen die Frage, ob dieser ottonische Bau überhaupt jemals in Funktion war oder unvollendet verfiel. Die untersuchten neun Flächen beantworteten dies folgendermaßen:

Die baulichen Reste verstärken den bereits 2018 mit dem überraschenden Fund eines Weihesteins mit Inschrift gewonnenen Eindruck, dass die Kirche in zentralen Bereichen tatsächlich fertig gestellt und in Benutzung war. Dafür spricht außerdem die Entdeckung einer ersten Bestattung…“

Freigelegtes Kopfnischengrab im Bereich des nördlichen Endes des Kirchenquerhauses. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Holger Grönwald.

Nebenbei fanden die studentischen Archäolog/innen im Kirchenbereich auch spätbronzezeitliche und neolithische Reste. Weitere Erkenntnisse waren, dass im Spätmittelalter im Schutze der Reste der Monumentalkirche Gebäude errichtet worden sind. Zudem dienten die Ruinen bis ins 18. Jhd. hinein als Steinbruch.

Die Lehr- und Forschungsgrabungen gingen auch 2022 weiter. Auf 335 qm wurde gegraben. Wichtigste Erkenntnisse dieser Grabung waren: Es gab einen Vorgängerbau, ob es sich dabei auch um eine Kirche oder ein Pfalzgebäude gehandelt hat, ist ungewiss. Die Kirche ist nicht in einem Rutsch errichtet worden. Es gab verschiedene Bauphasen, diese lassen sich zeitlich nun genauer fassen. Zudem verfügte die ottonische Kirche über einen Lettner:

Eine Abtrennung des Chorbereichs – in Form eines Lettners – ließ sich durch die Spuren der zugehörigen Mauerunterlage nachweisen.“

Grundriss der Monumentalkirche im Kloster Memleben mit Grabungsareal. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Thomas Jäger.

Weitere Bestattungen im Kircheninneren fanden sich nicht, die Einzelbestattung, die 2021, gefunden worden ist (Abb. s.o.), muss einen bedeutenden Toten beinhaltet haben.

Quelle zum Nachlesen: https://archlsa.de/oeffentlichkeitsarbeit/presseinformationen/2022/29922-memleben-klosterkirche.html

Die größte ottonische Burg Sachsen-Anhalts

Nur 2,5 km von Memleben befindet sich die Altenburg bei Großwangen. Die Bedeutung wird schon durch pure Fakten augenscheinlich:

Auf einem steil aufragenden Bergsporn befestigen mehrfach gestaffelte, bis zu 10 Meter hohe Wälle sowie Grabenanlagen ein Terrain von fast 850 Meter Längsausdehnung und bis zu 210 Meter Breite. Die Innenfläche der Altenburg umfasste somit über 15 Hektar.“

Ottonenzeitliche Keramik – teils mit Kammstrichdekor (Wellenbänder), meist mit slawischen Bezügen – aus Grubenhäusern und anderen Befunden der Altenburg. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Normen Posselt.

Das hat natürlich zu Vermutungen aller Art geführt: Von einer Burg des alten Thüringerreiches bis zum Standort der weltlichen Gebäude der Pfalz Memleben, dessen Klosterreste nur einen Spaziergang entfernt liegen. Die erste Überraschung ist, dass die Burg tatsächlich überwiegend aus ottonischer Zeit stammt und im 10. Jahrhundert intensiv genutzt wurde. Diese Besiedlung endete vor dem Jahr 1000. Die zweite Überraschung war, dass diese Burg mit einer Steinbefestigung geschützt wurde, eine „über 900 Meter lange, bis zu 2,3 Meter breite und noch bis zu 1,6 Meter Höhe erhaltene – ursprünglich wohl 3 bis 5 Meter hohe – Mauer“. Soweit so gut. Doch Palastbauten fanden sich nicht, die Archäologen konnten nur „Grubenhäuser, Feuerstellen, Vorratsgruben, Stein- und Lehmkuppelöfen“ vorweisen. Allenfalls könnte die Altenburg so etwas wie die Bedeutung einer Befestigungsanlage im Zusammenhang mit Memleben zukommen.

Fazit der „ottonischen Jahre 2021 u. 2022:

Helfta und Memleben waren beides bedeutende ottonische Pfalzen im 10. Jahrhundert. Beide wandelten sich danach zu Standorten von Klosteranlagen. Memleben war eine Zeitlang Reichskloster und Memorialort der frühen Ottonen. Helfta ist eng mit den Mystikerinnen Gertrud von Helfta, Mechtild von Hakeborn und Mechthild von Magdeburg (13. Jhd.) verbunden. Das Rätsel der Pfalz von Helfta ist inzwischen geklärt und wird noch viele interessante Erkenntnisse bringen. Memlebens monumentale ottonische Kirche nahm durch die archäologische Grabungen mehr an Kontur an. Die Pfalz wurde allerdings nicht gefunden. Auf der Altenburg war sie nicht, auch wenn diese durch eine Mörtelmauer bewehrte Befestigungsanlage geschützt war, ein Palastbau wie in Helfta ließ sich nicht nachweisen. Möglicherweise steht die Altenburg nahe dem von Heinrich I. geliebten Memleben im Zusammenhang mit der Abwehr der Ungarn von 933. Aber das werden wir wohl nie erfahren.

Von Herzen dankbar sind wir jedenfalls für die vielen Ausgrabungen und den Forschungsschwerpunkt Ottonik in diesem und dem letzten Jahr. Das sind gute Jahre mit neuen Erkenntnissen für die Ottonenzeit gewesen, können wir am Ende feststellen.

Text, soweit nicht aus den angegeb. Quellen zitiert: Torsten Kreutzfeldt. Titelbild: Ausgrabungen im Bereich des Helftaer Palatiums. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Felix Biermann.

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