Kaiser Ottos vergessene Kirche in Helfta
Unsere Landesarchäologen finden in letzter Zeit Bauwerke wieder, die längst vergessen waren. Im letzten Jahr erst waren wir vor Ort in Halle als die Alexanderkirche des Klosters Neuwerk, der Standort war lange Zeit umstritten, archäologisch nachgewiesen werden konnte. Zu unserer großen Freude ist es in diesem Jahr die Radegundiskirche der karolingisch-ottonischen Pfalz Helfta, vor den Toren der Lutherstadt Eisleben, die durch Grabungsaktivitäten wieder ans Tageslicht kam.
Angesichts des Besuches des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff am 23. Juni 2021 gab das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Informationen zu dieser erneuten Kirchenwiederauffindung bekannt. Aber hören wir dazu zunächst den Chronisten Thietmar von Merseburg, der uns von seinem Vorgänger, Boso, berichtet, der neben einigen Dörfern und einer Burg auch eine wichtige Kirche erhielt:
Des Kaisers gleichnamiger Sohn aber bewilligte ihm die Kirche in Helpithi [Helfta], die sein Vater zu Ehren der heiligen Radegundis hatte bauen lassen und die Bischof Bernhard [von Halberstadt] auf dessen Geheiß in dessen Gegenwart eingeweiht hatte.
Thietmar von Merseburg: Chronik
Der Standort der Kirche (und der Pfalz) ist aber nicht identisch mit dem Standort des im 13. Jahrhundert gegründeten Zisterzienserinnenklosters St.Marien zu Helfta, dem in den vergangenen Jahren neues Leben eingehaucht wurde, sondern befindet sich westlich davon auf den Anhöhen Kleiner Klaus / Großer Klaus. Vermutungen über die „Vergessene Pfalz“ gab es schon längere Zeit. Im Jahr 2017 faßte eine Tagung im heutigen Kloster Helfta die historischen Erkenntnisse folgendermaßen zusammen:
Helfta begegnet erstmals im 9. Jh. als Helpide mit dazugehöriger Helphideburc im sogenannten Hersfelder Zehntverzeichnis. Danach wird Helfta während des frühen und hohen Mittelalter als castellum, civitas, curtis oder villa, darüber hinaus als Aufenthaltsort Ottos I. und Ottos II. sowie als Standort einer der heiligen Radegunde geweihten Kirche erwähnt.
Pfalzenarbeitskreis Sachsen-Anhalt
Die vermutete Lage der Pfalz auf der Anhöhe hatten zuvor die vor einigen Jahren durchgeführten geophysikalischen Prospektionen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie bestätigt. Seit Anfang Mai 2021 wird im Rahmen einer Forschungsgrabung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA) versucht, die Erkenntnisse der Prospektionen mit Funden zu bekräftigen. Mit Erfolg, denn bereits in den ersten Wochen führten die Untersuchungen zu außerordentlich spannenden Ergebnissen. Als Schwerpunkt wurden die Überreste einer großen Kirche ausgewählt, bei der es sich nur um die oben von Thietmar erwähnte Radegundiskirche handeln kann.
Nach der heiligen Radegundis (* um 525; † 13. August 587 in Poitiers), einer von den Franken entführten Thüringerprinzessin, Frankenkönigin und späteren Nonne und Klostergründerin in Poitiers, sind in Frankreich einige Kirchen benannt, in Deutschland ist es ein eher seltenes Patrozinium. So steht eine Kirche in Thüringen, eine andere in Niedersachsen. Schon dies ist also eine Besonderheit, die Helfta auszeichnet, daneben ist die Kirche dieser Pfalz aber keine kleine Kapelle, wie wir sie z.B. in Tilleda vorfinden, sondern eine größere Kirche. Die Archäologen berichten begeistert von den Ausmaßen ihres Fundes (siehe dazu auch obiges Luftbild der Grabungsfläche):
Die Ausgrabungen decken aktuell eine etwa 30 m lange, dreischiffige und kreuzförmige Basilika mit Querschiff und wenigstens einmal erneuertem Ostabschluss (Rechteck-und Halbkreisapsis) auf, die vom 10. Jahrhundert an über ein halbes Jahrtausend hin das Tal dominierte. Die Mauern wurden nach der Reformation komplett abgetragen, doch lassen die Ausbruchgruben und Fundamentreste sowie nicht zuletzt auch Relikte der Ausstattung die Pracht des untergegangenen Bauwerks noch erahnen. [Größenvergleich: Magdeburger Dom 120 m]
Presseinformation des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt –Landesmuseum für Vorgeschichte–23. Juni2021
Die Begeisterung wird durch zahlreiche Funde bestätigt: Mit einem romanischen Bronzekruzifix mit Email, das im 13. Jahrhundert in Limoges gefertigt wurde, schließt sich der Bogen nach Südfrankreich. In zahlreichen Gräbern im Kirchenraum und außerhalb, darunter Kopfnischengräber und gemauerte Grüfte, finden sich lt. der Landesarchäologie „Münzen, kunstvoll mit Email verzierte Gewandspangen, Trachtstücke, Pilgerzeichen, Tonscherben und vieles andere mehr.“ Und es wird weitergegraben. In den nächsten vier Monaten der Grabungskampagne sollen auch Siedlungs- und Befestungsreste der mutmaßlichen Königspfalz Helfta aufgedeckt werden. Dabei werden die Ausgräber von Studenten aus Halle, Stettin und Barcelona verstärkt, die hier ihr universitäres Grabungspraktikum absolvieren werden. Da können wir uns bereits auf spannende Grabungsberichte und Darstellungen in der „Archäologie in Sachsen-Anhalt“ freuen. Zudem zeigt es, dass es noch viele Geschichten aus der Ottonenzeit zu heben gibt. Der Geschichte der vergessenen Pfalz von Helfta wurde gestern ein wichtiges Kapitel hinzu gefügt.
Links:
Pressemitteilung des Landesamtes:
https://archlsa.de/oeffentlichkeitsarbeit/presseinformationen/26062021-helfta.html
Und einem ausführlichen Instagram Beitrag mit ergänzenden Informationen und Fotos:
https://instagram.com/p/CQguWVzFlfw/?
Torsten Kreutzfeldt für Lebendige Geschichte e.V. Beitragsbild: Emaillierte Buntmetall-Rechteckfibel (Gewandspange) mit eingezogenen Seiten, karolingerzeitlich (9. Jh.) © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Friederike Hertel. Alle anderen Bild- und Schriftbelege im Text.
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