Landesmuseum Halle

Das Reich der Himmelsscheibe

Das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) zeigt noch vom 4. Juni 2021 bis zum 9. Januar 2022 die große Landesausstellung „Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte“. Mit etwas Verspätung konnten wir diese Sonderausstellung in dieser Woche endlich besuchen und dies dank der arch. Gesellschaft von Sachsen-Anhalt. Die neue Schau in Halle um den berühmtesten Fund des Bundeslandes ist erneut eine gelungene Mischung aus Kunst und Archäologie. Sogar an die kleinen Museumbesucher wurde mit auf Kinderhöhe angebrachten Ausstellungsfenstern gedacht. Die können sich auch die Großen anschauen, aber bitte nicht über den „Kniefall“ beschweren! Ein großes Geheimnis steckt auch dahinter, aber das müssen die Kinder aufklären.

Ein Weltfund: Cape von Mold (British Museum, London). Copyright: The Trustees of the British Museum.

Mittelalterausstellung, unser Hauptinteresse, darf man in Halle nicht erwarten. Das „Mittelalter“ wurde, ich vermute auch aus politischen Gründen, völlig nach Magdeburg abgegeben. In Halle macht man das, was Archäologen hier am besten können, nämlich die Himmelsscheibe vermarkten, dies mit allen Sinnen. Die Landesausstellung ist ein großes Erlebnis, auch weil man sich in Halle viel traut. (Manchmal möchte ich doch wissen, was dort so in der Laborküche zusammengebraut wird!). Also hinein in die große Scheibenschau:

Das Vorspiel, bevor die Treppe hinab ins „Heiligtum“ beschritten werden kann, bilden die jungsteinzeitlichen bzw. kupfersteinzeitlichen Kulturen der Linienbandkeramiker (etwa 6000–4000 v. Chr) und der Glockenbecher (etwas 2600 bis 1800 v. Chr.). Diese werden mit Grabfunden auf sensationelle vertikale Weise präsentiert, in Halle inzwischen schon Standart. Ob Gräber präsentiert werden sollten und dies auf solche Weise, darüber kann trefflich gestritten werden, allerdings ist es leider so, dass es oft das einzige ist, was von diesen Menschen auf uns gekommen ist.

2001 mit Himmelsscheibe und Stierkampfhenge

Das „Allerheiligste“ in dieser Ausstellung bilden 5 schwarze Pylone mit Weltfunden der Archäologie darunter natürlich die Himmelsscheibe. Und ja, es ist das Original! Die schwarzen Säulen mit den Funden gemahnen an „2001, Odysee im Weltall“. Es stellt sich das Gefühl ein, die Pylone würden gleich durch die Museumsdecke krachen udn die Funde irgendwohin entführen, wo sie uns Menschen dann überdauern, ein letzter Gruß vor dem Untergang. Stellen Sie sich vor, von uns würden nur Himmelsscheibe, Cape von Mold, Goldhut von Schifferstadt, Goldschiffchen aus Nors und das Schiffsmodell von Caergwrle übrigbleiben!

Raum mit den Fürstengräbern und dem „Stierkampfhenge“ im Hintergrund. Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Andrea Hörentrup. Beziehungsweise in Kurzform: LDA Sachsen-Anhalt, Andrea Hörentrup.
 

Glas und Schutt aus dem Afro schüttelnd geht es einen Schritt weiter zu einem Exkurs in die El Argar-Kultur (2200 und 1550 v. Chr in Spanien). Wir kennen die eindrucksvolle Darstellung dieser Kultur aus dem Archäologischen Museum in Barcelona, die z.T. auf Prof. Roberto Risch zurückgeht, der auch mit dem Landesmuseum in Halle in Kontakt steht. Das kann die kleine Erwähnung hier in der Sonderausstellung natürlich nicht bieten. Es sind auch leider keine Leihgaben aus Barcelona zu sehen. El Argar war vormutlich das erste durchorganisierte Staatengebilde im Westeuropa mit normierter Keramik, zentraler Getreidespeicherung und Verarbeitung. Gescheitert ist dieses Gebilde an einseitiger Ernährung und nicht am Krieg. In der Ausstellung wird dazu ein modern wirkendes Silberdiadem aus einem Frauengrab gezeigt. Silberdiademfrauen gehörten bereits zur Führungsebene, allerdings nicht ganz oben, da gab es Gold. Prof Risch hat die Theorie entwickelt, dass die streng hierarchisch aufgebaute El Argar Gesellschaft möglicherweise von Frauen regiert wurde. Leider hinterließen sie uns keinerlei schriftliche Zeugnisse.

Ganz anders bei uns. Aus dem Reich der Himmelsscheibe (Aunjetitzer Kultur, etwa 2300 v. Chr. bis 1600/1500 v. Chr) sind uns nur männliche Fürstengräber z.B. Leubingen überliefert. Dies wird eine weitere Treppe höher thematisiert. Auch hier wieder große Inszenierung, die von einer gewagten Neuinterpretation des Pömelter Henge durch den Künstler Karol Schauer überragt wird: Das Henge als bronzezeitliche Stierkampfarena, wenn das die Spanier wüßten!

Sind manche bronzezeitlichen Horte auch als Überreste frühstaatlicher Militärorganisation zu begreifen? Wurden junge Kerle, Männerüberschuss, für den Fall von kriegerischen Auseinandersetzung quasi in „Männerhäusern“ kaserniert? Diese Fragen werden in den nächsten Räumen gestellt. Die ausgestellten Waffen (Äxte u. für die Höhergestellten Stabdolche) wurden benutzt, das zeigen die Abnutzungsspuren. Dennoch haben wir (bislang) keine Belege für größere kriegerische Auseinandersetzungen.

Eine Himmelsscheibe, sie alle zu knechten… (frei nach Tolkien)

Der letzte Raum stellt Stonehenge und Pömmelte gegenüber bis die Ausstellung mit „internationalen Beziehungen“ z.B. mit Altägypten abschließt. Beide Kreisanlagen sind als ebenso runde „Modellsandkästen“ (siehe Titelbild) gestaltet. Auch die niedergelegten „Menschenopfer“ in Pömmelte werden mit vielen Informationen thematisiert. Über den bereits erwähnten Ausflug an den Nil kann das Reich der Himmelsscheibe verlassen werden. Halle ist mutig und lehnt sich bei der Interpretion der Funde weit aus dem Fenster. Das ist ein Wagnis, aber darüber sind sich die Verantwortlichen durchaus im Klaren. Mit der These des großen Repräsentationsbedürfnis einer Elite, die sich in monumentalen Grabhügeln mit kostbaren Grabbeigaben bestatten ließ, wird jeder gut leben können. Aber wie ist es mit dem „Bild eines frühen durchorganisierten Staates mit steiler Hierarchie und einem einzigen, überregional gut vernetzten Herrscher an der Spitze“ (Presseinformation des Landesamtes) ? Ein Pharao in Altägypten ist gut dokumentiert. Ist es so abwegig, uns einen „Himmelsscheibenfürsten“ vorzustellen? Oder sind mit der Landesarchäologie in Halle nun völlig die bronzezeitlichen Pferde durchgegangen? Am Ende erging dem Reich der Himmelsscheibe wie El Argar: Es verschwand. Die Scheibe wurde nicht in einem Vulkan vernichtet, sondern vergraben, bis 1999 gierige Raubgräber sie wieder ans Licht der Welt holten und ein tapferer Landesarchäologe sie zurück ins Land holte (um das Reich der Himmelsscheibe neu zu errichten, nein, das ist eine andere Geschichte …).

Verschaffen Sie sich selbst einen Eindruck! Es erwartet den Besucher also ein durchaus sehenswerter, archäologisch anspruchsvoller und künstlerisch hochwertiger Spaziergang durch das uns immer noch völlig unbekannte Reich der Himmelsscheibe, für den sich auch eine längere Anfahrt lohnt. Planen Sie allein für den Rundgang der Landesausstellung gute 2 Stunden ein.

Für Lebendige Geschichte e.V.: To. Kreutzfeldt mit herzlichen Dank an die archäologische Gesellschaft Sachsen-Anhalt und an Frau Anja Lochner-Rechta, Öffentlichkeitsarbeit des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Titelbild: Ausstellungsimpression. Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Andrea Hörentrup.

Link zur Ausstellung: https://www.landesmuseum-vorgeschichte.de/sonderausstellungen/die-welt-der-himmelsscheibe-von-nebra-neue-horizonte/uebersicht/themen.html

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