Völkerschlacht als Nagelprobe für Reenactment?
Ursprünglich wollte ich hier blogen, wie lebendige Geschichte auch aussehen kann, nämlich wie im Sonderteil des MDR-Fernsehens zur Völkerschlacht in Leipzig 1813. Hier gefällt besonders der fiktionale Teil „MDR TOPNEWS: Völkerschlacht überrollt Sachsen“ mit Tagesthemen Ingo Zamperoni. Ich hatte zwar keinesfalls vor, zum Schlachtenevent mit Reenactment selbst zu fahren, da mir die Knallerei zuviel ist, aber ich hatte schon vor, die Sache mit Sympathie und kleinen Zeitbudget aus der Ferne zu verfolgen.
Geschichte ist zu wichtig, um sie den Historikern zu überlassen.
Aber plötzlich stieß ich auf die Stimmen der Empörten: Stellvertretend das Interview mit Prof. Reichel auch beim MDR, hier nachzulesen … Er hält Reenactment für einen unhistorischen Umgang mit der Geschichte und meint im Interview: „Es ist zu wenig, im Umgang mit der Geschichte nur Spaß zu haben.“ Finden wir auch. Geschichte ist so ernst, dass es bedenklich wäre, ihre Deutung nur den Historikern zu überlassen (die anscheinend mit ihrem Job gar keinen Spaß haben, könnte man denken). Es wird das Spektakel kritisiert, dass um die Völkerschlacht gemacht wird. Befürchtet wird, dass dabei das Leid der Menschen vergessen wird. In diese Kerbe schlägt z.B. der von mir sehr geschätzte Stefan Nölke bei MDR-Figaro. Das ist llegitim!Der MDR selbst scheint die Empörung schon geahnt zu haben, viele Beiträge z.B. der Korrespondenten beschäftigen sich eben mit dem angemahnten Leiden durch die Schlacht. Sehr bewegend der Beitrag von Vivienne Radermacher über die „Marie Louises“ – Frankreichs letztes Aufgebot.
Tatsächlich wird aus der Sache ein Riesenspektakel gemacht. Da kann schon gefragt werden, ist das angemessen? Aber bitte angesichts der vielen Dokumentationen und Verfilmungen mir nicht so kommen: … jeder kann sich seinen Freizeitspaß selbst aussuchen… (Zitat Nölke). Was soll das denn? Ist es denn nicht eher die Öffentlichkeit selbst, die das Spektakel wünscht? Ein Beispiel: Sitze ich ruhig am Feuer und koche oder handwerke ich, interessiert es nur für kurze Zeit, aber wenn die Kameraden mit dem Schwert trainieren, bildet sich sofort eine Traube von Menschen: Guck mal, wie toll die Ritter kämpfen! Und sind es nicht auch die Historiker, die wieder der Ereignisgeschichte mehr Bedeutung zumessen als dem Alltag der Menschen wie z.B. unlängst bei der 3. „Otto-Ausstellung“ in Magdeburg geschehen, wo man unverhüllt vom Kaiserglück träumte.
Wie geht man angemessen mit diesem Jubiläum um? Die Reenactors vor Ort, die sich umfangreich mit dem Alltagsleben beschäftigt haben, wissen wohl am Besten um das Leid der damaligen Menschen. Aber wissen es all die Verantwortlichen in Politik und Medien? Ich bin mir nicht so sicher. So ist die Völkerschlacht keinesfalls eine Nagelprobe für das Reenactment, das ja allerhöchstens eine Illustration mit lebendigen Bildern darstellt, sondern sie ist eine Nagelprobe für die gesamte Öffentlichkeit, die hin- und herschwankt zwischen Faszination und Schrecken einer Schlacht. Das sollte thematisiert werden und nicht der „Verkleidungsfasching“ einiger Enthusiasten. Warum rufen denn die Völkerschlacht, Waterloo oder Hastings solche Begeisterung hervor? Der Bote der schlechten Nachricht ist nicht die schlechte Nachricht selbst, Herr Nölke, aber gerne köpft man ihn dennoch, oder?
Mit Grüßen vom Scharfrichter Isidorus
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