Archaeologie

Neue Forschungen zum Stift Neuwerk

Der Vorstand des Vereins für Hallische Stadtgeschichte e.V., vertreten durch Dr. Andrea Thiele, freute sich am 9. Mai 2022 einen Themenabend mit dem Titel „Neue Forschungen zum Stift Neuwerk“ abhalten zu dürfen. Wir freuten uns mit, denn es ist ist bereits wieder zwei Jahre her, seit wir im Mai 2020 auf der Ausgrabung eines Teils der großen Kirche des Stiftes Neuwerk standen. Pandemiebedingt konnte erst im Mai 2022 eine breitere Öffentlichkeit live den Forschungen dazu von Frau PD Dr. Ingrid Würth und Frau Dr. Caroline Schulz folgen. Welcher Ort wäre dazu besser geeignet, den neuesten Forschungsstand zum Stift Neuwerk vorzustellen als der Hörsaal der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, ganz in der Nähe der Ausgrabung gelegen, was bereits die Adresse „Neuwerk 7“ deutlich macht?

Sächsische Opposition oder kirchliche Strukturpolitik?

Belagerung einer salischen Burg durch Sachsen. Foto: TK

PD Dr. Ingrid Würth beleuchtete dabei den historischen Hintergrund der Klostergründung mit ihrem Vortrag „Opposition gegen den Kaiser oder erzbischöfliche Strukturpolitik? Motive für die Gründung des Stiftes Neuwerk bei Halle“. Sie analysierte, warum es zur Neugründung kam und warum der damalige Magdeburger Erzbischof Adalgot Augustinerchorherren in Halle ansiedelte. Adalgot hatte sich bis zuletzt der sächsischen Opposition gegen den salischen Kaiser verweigert. Dies änderte sich erst, als seine Hilfeleistungen für den verfolgten Wiprecht III. von Groitzsch dem Kaiser mißfielen. Dazu kam die Aufnahme des Salzburger Erzbischofs Konrad, der im Investiturstreit auf der Seite des Papstes stand und auf der Flucht war. Dieser vermittelte die Aufnahme der Chorherren vom Augustinerstift Reichersberg. Und so fand sich der Magdeburger Erzbischof im Februar 1115 auf dem Welfesholz ganz in der Nähe von Halle auch militärisch in der Opposition. Hoyer I. von Mansfeld, der stellvertretend für Kaiser Heinrich V., gegen die sächsischen Fürsten und Bischöfe vorrückte, verlor die Schlacht und gleichzeitig sein Leben. Der Abstieg der Salier war damit besiegelt und Lothar von Süpplingenburg, der das sächsische Aufgebot angeführt hatte, nahm Kurs auf eine Führungsrolle im Reich ( ab 1125 König und von 1133 bis 1137 Kaiser des römisch-deutschen Reiches) . Soweit der historische Hintergrund. Quellen für die Gründungsdaten 1116/1121 sind die Vita Lamberti und die Neuwerkurkunde. Die Vita Lamberti (Entstehungszeit 1166-1175) gibt einen legendenhaften Bericht über die Entstehung des Klosters wieder, in dem auch ein Bürger von Halle namens Hazecho eine bedeutende Rolle spielt. Der erste offizielle Probst Lambert wurde später als Lambert von Neuwerk heiliggesprochen (Gedenktag 9. Febr.) Hernach wurde das Stift 1116 gegründet. Die eigentliche Stiftungsurkunde, erst 1121 von Adalgots Nachfolger Rotger ausgestellt, war hingegen mehr weltlicher orientiert und liest sich wie ein „Who is Who“ der sächsischen Opposition gegen Kaiser Heinrich V. Neben Markt- und Zollrechten erhielt das neue Stift umfangreichen Landbesitz, Mühlen (Steinmühle) und die Pfarrrechte für das Gebiet Halle. Auf einem Schlag entstand das mächtigste Kloster im Süden des Erzbistums Magdeburg.

Frau Dr. Würth stellt abschließend fest, dass die Gründung des Stiftes Neuwerk auch die Bedeutung von Halle steigern konnte. Aus vielen verschiedenen kleinen deutschen, slawischen und jüdischen Siedlungsflecken wird eine hochmittelalterliche Stadt. Das aus diesem Betrachtungswinkel die Daten 1116/1121 bedeutungsvoller sind als die Daten 806 (karolingisches Kastell) und 961 (Erwähnung Burg Giebichenstein) wird verständlich. Auch die Frage zu Beginn beantwortet Frau Dr. Würtz folgendermaßen: Die Gründung des Stiftes Neuwerk in Halle war sowohl eine Oppositionsrolle gegen den Kaiser, besonders wenn man betrachtet, dass ein Reformorden wie die Augustinerchorherren angesiedelt worden sind, als auch ein wichtiger Schritt, eine klösterlich unterversorgte Region mit einem neuen geistlichen Zentrum auszustatten, dass zudem die Pfarrversorgung und das Archdiakonat in Halle wahrnahm.

Es wuchs Gras über Steine und Gräber

Frau Dr. Schulz, rechts zu sehen, im Hintergrund die noch vorh. Laurentiuskirche, Pfarrkirche von Neumarkt

Neues konnte die Historikerin also nicht bieten, lediglich alte Fakten neu bewerten. Auch die Archäologie war vor gar nicht langer Zeit ziemlich ratlos, was das Stift Neuwerk betrifft. Kardinal Albrecht, der ab 1530 begonnen hatte, das Kloster aufzulösen und abzubrechen, hatte ganze Arbeit geleistet. So schrieb mir Dr. Caroline Schulz auf Nachfrage nach Neuwerk: „„..archäologisch gibt es meines Wissens nichts vom Kloster Neuwerk, auch bei der letzten Grabung im Bereich der Hochschule Giebichenstein ist nichts vom eigentlichen Kloster herausgekommen.“ Das sollte sich bald ändern. Mai 2020 standen wir zusammen am Rand der Ausgrabungsgrube und Frau Schulz rief aus: „Es ist eine große Kirche!“

Dazu unseren Beitrag: Alexanderkirche Kloster Neuwerk in Halle: „Es ist eine große Kirche!“

Reste der Seitenapsis der Klosterkriche, Foto: TK

Deswegen war ich schon sehr gespannt auf den Vortrag von ihr unter dem Titel „… und dann wuchs Gras über Steine und Gräber. Ausgrabungen im Bereich des ehemaligen Klosters Neuwerk“. Sie stellte die damaligen Grabungsergebnisse noch einmal vor und ging auf weitere Grabungen, auch in der Zukunft geplante, ein:

Ein Überraschungsfund!

Plan der Grabung mit Vergleichskirchen, Plan: LDA LSA

Die Grabung in der nordöstlichen Ecke des botanischen Gartens in Halle, verursacht durch die Notwendigkeit eines Neubaus des Herbarium-Bereichs der Universität Halle, war deswegen eine große Überraschung mit sich, weil niemand damit gerechnet hätte, ausgerechnet hier auf Spuren der Klosterkirche des Stiftes Neuwerk zu treffen. Diese war aufgrund von Eintragungen in alten Plänen, z.B. Olearius von 1667, immer näher an der Saale vermutet worden und nicht so dicht an der Laurentiuskirche gelegen. Frau Dr. Schulz betonte im Verlauf ihres Vortrags jedoch, dass der Auffindungsort im Prinzip der idealste Platz für die Klosterkirche darstellte. Kardinal Albrecht, der beim Abbruch des Klosters ab 1530 sehr gründlich vorging, ließ nicht nur bis zu den Grundmauern abbrechen, sondern teilweise sogar auch die Grundmauern und Fundamente entfernen. Dennoch waren, wie ich mich selbst überzeugen konnte, eine Seitenapsis und Teile einer Hauptapsis deutlich im Ausgrabungsbefund zu erkennen. War damit die Klosterkirche des Stift Neuwerks, unter dem Patronat des Heiligen Alexanders, gefunden worden? Dr. Schulz ist davon fest überzeugt. Das Siegel des Propstes von Neuwerk zeigte eine viertürmige Kirche. Ein Vergleichsbau wäre damit die Liebfrauenkirche Halberstadt (1089) und ohne Türme die Klosterkirche Hamersleben (vor 1140). Den Plan ergänzt mit den Grundrissen der Vergleichskirchen (s. Abb.) zeigt sich, dass die Reste der Alexanderkirche sich unter der Straße „Am Kirchtor“ und den nordwestlichen Nachbargrundstücken befinden müssen. Das würde sich aber erst mit Grabungen in der Zukunft zweifelsfrei klären lassen.

Plan: LDA LSA

Neue Grabungen 2022 aufgrund von Leitungsbau im Süden der verschwundenen Klosterkirche erbrachten Funde von einem zweiphasigen Fundament und könnten mit dem Klausurbereich des Klosters im Zusammenhang stehen. (siehe Stern in der Abb.). Dies vervollständigt das Bild, dass die Apsiden tatsächlich zur Klosterkirche gehören. Ein „archäologisches Nichts“, s. Eingangszitat, ist zu einem konkreten Fundort geworden. „Die wichtigste Kirche des südlichen Sachsen-Anhalt“ (Harald Meller) ist jedoch von einem machthungrigen Kardinal zerstört worden. Da er Privilegien, Besitz und Gerichtsbarkeit des Klosters einer eigenen Stiftung am Dom in Halle übertragen wollte, sorgte er für den Abbruch der Klosterkirche bis „zur gründlichen Herausnahme der Steine.“ (Dr. Schulz). Wo aber blieben Bauteile z.B. Spolien der romanischen Klosterkirche? Im Verdacht stehen hier die profane Bauwerke wie die Neue Residenz von Kardinal Albrecht oder der „Kühle Brunnen“ seines Vertrauten Hans von Schönitz (den er allerdings später hinrichten ließ). Zweifelsfrei konnte das bis heute nicht geklärt werden. Ein historisches und archäologisches Rätsel, der Standort der Stiftskirche, scheint dagegen geklärt.

Kleine Zeitleiste zum Stift Neuwerk:

  • 1116 als erstes Kloster in Halle gegründet
  • 1121 Markt- und Zollrechte,
    • umfangreicher Besitz an Land, Mühlen (Steinmühle) und Pfarrrechten
    • Bau einer viertürmigen Kirche
  • Niedergang im 16. Jahrhundert
  • 1520 Kardinal Albrecht beginnt Bau des Neuen Stifts
  • 1528 übernimmt der Kardinal das Kloster
  • 1530 wird das Kloster aufgelöst und Besitz und Privilegien gehen ans Neue Stift
  • 24. August 1531 wird die letzte Messe in der Klosterkirche gelesen
  • Kirche und Klausurgebäude abgetragen
  • Nachnutzung von Wirtschaftsgebäuden
  • Ende 19. Jhd. letzte Reste verschwunden bis auf Keller des Brauhauses

Bericht und Fotos: Torsten Kreutzfeldt für die Ottonenzeit, Lebendige Geschichte e.V.

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