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Essen und Trinken

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Quelle: Verlagsinformationen

Schon lange plane ich unseren ottonischen Küchenführer (Kitchen-Guide) zu akt. und zu überarbeiten. Deswegen war ich sehr gespannt, das Buch „Essen und Trinken im Mittelalter (1000-1300)“ in die Hände zu bekommen, das zwar nur im Zeitrahmen die Spätottonik berührt, aber dennoch für uns interessant und hilfreich zu sein scheint. Da es wie Mechhilds Müllers Werk zur Kleidung im Reallexikon der Germanischen Altertums, Ergänzungsbände Nr. 74, erschienen ist, konnte ich es mir vom Preis her auch nicht einfach und unbesehen kaufen. Ich mußte warten, bis das Werk in der Bibliothek für mich greifbar war. Erst jetzt konnte ich einen ersten Blick hinein werfen.

Über 800 Seiten Essen und Trinken

Da heißt es vorsichtig sein und zunächst einige Appetithäppchen nehmen. Wir können natürlich auch in  die Speisekarte bzw. das Inhaltsverzeichnis schauen, um uns einen Überblick zu verschaffen. Es war ein bißchen wie beim „Griechen“ mit den vielen Gerichten, auch das Inhaltsvereichnis ist so umfangreich, dass ich es hier an dieser Stelle kurz zusammenfassen möchte, sonst würde es den Rahmen sprengen:

  1. Einführung (inkl  launische Bemerkungen über Mittelaltermärkte)
  2. Essen und Trinken in der höfischen Literatur
  3. Die (Essens-)Tafel im Bild
  4. Ländliches, städtisches und kirchliches Ernährungswesen in der Dichtung
  5. Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
  6. [sehr knapp abgehandelt] Tischgerät und Küchenutensilien
  7. Interessante Anhänge z.B. “Karfunkelabwatschen”, Konservierung von Lebensmittel, Lebensmittelverfälschung, ernährungsbedingte Krankheiten.

Wie aus der Inhaltsangabe ersichtlich, liebt der Schwerpunkt von Anne Schulz auf der Literaturanalyse unter Berücksichtigung von Ernährung, Tischsitten und -gebräuche. Dies setzt sie aber in Bezug auf die Archäologie, da

sich gerade die epische Dichtung an Idealen orientiert.

Geradezu genervt hat Anne Schulz (neben der Karfunkellektüre), dass Literatur über das Essen im Mittelalter, auch wissenschaftliche, hauptsächlich mit Quellen ab 1300 arbeitet.  Das heißt: Das Bild das bislang in Öffentlichkeit, Schule und Wissenschaft über die Ernährung des Mittelalters verbreitet wurde, ist geprägt vom Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. Aber ein Analogieschluss von den Kochbüchern des Spätmittelalters auf die Ernährung des Hochmittelalters ist lt. Anne Schulz nicht statthaft. Deswegen auch ihre strenge Einschränkung auf den Zeitrahmen von 1000 – 1300. Diese Erkenntnis ist in bei seriösen Geschichtsdarstellern schon länger verbreitet. Es wird auch keine Völkerschlacht mit Waffen des 1. Weltkriegs dargestellt. Aber wir freuen uns, dass bei der Wissenschaft diese Erkenntnis nun auch endlich angekommen ist. Aber Frau Schulz ist inzwischen dieser Wissenschaft auch verloren gegangen und arbeitet für ein Schulungszentrum der Bundeswehr.

Erste Blicke ins Werk: Beim Adel arme Kost, einige Mönche schlemmten

Nach einem Nachmittag des Hineinlesens kann ich über ein 800 Seiten umfassendes Werk keine Besprechung verfassen, ich möchte allerhöchstens erste Einblicke geben: Lt. Auswertung der Fundlage kam Wildfleisch nicht in großen Mengen im Hochmittelalter auf die herschaftlichen Tafeln. Auch Fleisch war nicht in Hülle und Fülle auf Herrenhöfen und Burgen vorhanden. Oft unterschiedlich die Ernährung des Herren nichts wesentlich von der seiner Bauern. Festmähler waren Ausnahmefälle. Aber das hatten wir auch schon angenommen. Die Klosterernährung lief nach untersuchten Klöstern nicht immer korrekt nach der Benediktinerregel ab. Bei drei Beispielen war eines (Schaffhausen) in Übereinstimmung mit den Ernährungsbestimmungen der Regel, die Hirsauer Mönche aber haben ihre Kost mit sehr viel Huhn ergänzt. Bei Corvey kamen auch Vierfüßer in den Topf, nach Befund kann man hier auch von Luxusküche sprechen. Aber diese Ausfälle wurden auch schon von Zeitgenossen gegeißelt.

Bei der Verwertung von Tieren wurde alles verwertet. Entgegen der üblichen Lektüre gab es keine Vorlieben des Adels im Hochmittelalter für Brot etc. aus Weizen. Bei der Ernährung der Menschen im Hochmittelalter wurden lt. Anne Schulz sehr viele Wildpflanzen verwertet. Insgesamt war die Küche (natürlich) sehr saisonal geprägt. Die „Vergetreidung des Mittelalters“, wie es Frau Schulz nennt, also die Ernährung durch „Brot, Wein und Mus“ war auch beim Adel greifbar.

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Das salzige Zeitalter

Das Hochmittelalter war ein salziges Zeitalter. Eine authentische Zubereitung würde uns, so lächelt die Anne Schulz zwischen den Zeilen, wohl versalzen vorkommen. Deswegen war auch eine große Menge Getränke vonnösten, wie es sich in der Literatur wiederspiegelt. Die Lehrmeinung von Hungersnöten im Hochmittelalter läßt sich lt. Frau Schulz auch nicht halten.

Die Unwägbarkeiten solcher archäologischen Untersuchungen sind Frau Schulz bekannt und sie stellt sie auch stets im Zusammenhang und in den Vergleich mit der literarischen Überlieferung. Es gibt eine Menge Anhaltspunkte, was damals gegessen wurde, aber wir wissen sehr wenig, wie die Nahrung damals (genau) verarbeitet wurde. Sie plädiert deswegen für „Tabula rasa“ aufgrund der Quellenlage. Rezepte des Hochmittelalter sind nach ihren Ausführungen schlimmstes „Histotainment“, ja pure Erfindung.

Es ist nicht nur eine Fleißarbeit, da steckt auf jeder Seite Substanz dahinter. Und ich nehme auch Frau Schulz nicht die launigen Bemerkungen über die Mittelalterszene übel, sie hat mit vielen Bemerkungen darüber recht.

Ein Fazit traue ich mich (noch) nicht. Was die Praxis in lebendiger Geschichte und Reenactment (den unbelehrbaren Mittelaltermarkt klammer ich hier gleich aus) keinesfalls tun sollte, ist die Erkenntnis der Anne Schulz zu ignorieren. Mit diesem Buch liegt den Kochtruppen des Hochmittelalters ein schwere Stein auf der Brust. Diesen einfach wegzurollen, ist wohl keine Lösung…

Euer Isí

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