Buchmarkt

Schlacht im Tollensetal und die Steinschleuder

In unserem allwöchentlichen Blogbeitrag möchten wir heute eine Neuerscheinung auf dem archäologischen Buchmarkt vorstellen, uns vorliegend als Sonderheft 19 2020 der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“, die aber auch im freien Handel erhält ist. Bitte dazu unten die Titelangaben beachten. Neben der Vorstellung des Buches möchten wir der Frage bezüglich der Verwendung der Steinschleuder in der Schlacht von Tollensetal 1300 v. Chr., von der die Publ. handelt, nachgehen.

„Tollensetal 1300 v. Chr.“ behandelt einen außerordentlich interessanten Ausgrabungsbefund in Mecklenburg-Vorpommern und belegt, so sind sich die Autoren am Ende sicher, das bislang älteste nachgewiesene Schlachtfeld Europas, bei dem 1500 oder mehr Kämpfer mit in der Bronzezeit verfügbaren Waffen aufeinander los gegangen sind. Der Band liest sich ausgesprochen kurzweilig, was übrigens nicht immer bei Archäologiepubl. der Fall ist, daher bin ich sicher, dass sich auch weniger unbeleckte Leser in diesem klar strukturierten Werk gut zurechtfinden können. Besonders eingenommen hat mich das Autorenteam, u.a. Joachim Krüger u. Thomas Terberger, mit dem Beginn des Bandes, der mit den „Tollensetal-Helden“ beginnt. Damit sind nicht die Krieger vor über 3000 Jahren gemeint, die sich an den Ufern der Tollense gegenseitig niedermetzelten, sondern die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger und Taucher, welche die Auffindung und Bergung der vielen Funde erst möglich gemacht haben.

War es überhaupt eine Schlacht?

Neben der Auffindung der Himmelsscheibe von Nebra ist die Bergung der Funde des Schlachtfeldes vom Tollensetal einer der spannendsten archäologischen Funde der letzten Jahre. Einer breiten Öffentlichkeit wurden die Funde bereits in der Sonderausstellung „Krieg – Eine archäologische Spurensuche“ im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle 2015/2016 präsentiert. Ich konnte bei der Eröffnung der Ausstellung dabei sein. Darauf komme ich noch einmal zurück. Was dort nur auf die typische effektvolle Art der Hallenser Ausstellungen angerissen wurde, kann nun vertieft werden. Dazu gibt es detaillierte Informationen zum Fundort und -Umständen. Auch wird natürlich erklärt, warum die Funde und die menschlichen Überreste sich so gut erhalten haben. Nach dem Kapitel „Überall Knochen!“ wird der Leser keinen Zweifel mehr haben, dass im Tollensetal ein schreckliches Gewaltereignis stattgefunden hat. Weitere Kapitel im Anschluss erläutern die Funde ausführlich. Interessant ist hier die Auffindung einer bronzezeitlichen Queerung durchs Tal. Ausführungen über die verwendeten Waffen und ihre Wirkung schließen sich an. Interessanter ist die Frage, woher die beteiligten Konfliktparteien kamen. Im Kapitel „Krieg?“ wird versucht, dass Ereignis im Jahre 1300 v. Chr. zu rekonstruieren, soweit dies anhand der archäologischen Funde überhaupt möglich ist. Dabei sind die Ausführungen verständlich geschrieben und abseits der Schlachtenarchäologie ergibt sich ein neuer Blick auf die bislang als friedliche Zeit tradierte Bronzezeit. Allerdings beginnt ab 1300 v. Chr. bereits eine neue Ära. Die Autoren sind sich sicher:

„Die Ereignisse im Tollensetal scheinen zeitlich am Beginn der großen Umwälzungen im östlichen Mittelmeergebiet stattgefunden zu haben. Aber nach unserer Meinung sind sie im Zusammenhang mit den ideologischen und wahrscheinlich auch politischen Umbrüchen in der Zeit des Übergangs zur Urnenfelderzeit zu sehen, die ganz Europa um 1300 v. Chr. erfasst haben.“

Eine mutige Schlussfolgerung, denn es liegen nur die archäologischen Funde vor, keinerlei schriftliche Quellen. Wer dort gegen wen Krieg führte, wird im Dunkel bleiben müssen. Es mit der Urnenfelderkultur im Zusammenhang zu bringen, liegt zeitlich auf der Hand, muss deswegen aber nicht zutreffen. Der Leser sollte sich ein eigenes Bild machen.

Steinschleuderer im Tollensetal?

Die Steinschleuder ist ohne Zweifel eine der ältesten Waffen der Menschheit. Die Schleuder ist einfach zu fertigen und Munition liegt fast überall herum. Die Aufprallwucht durch einen geschleuderten Stein kann erheblichen Schaden hervorrufen. Schwere Verletzungen oder Tod sind sicher. Eine Steinschleuder, wie sie z.B. David in der berühmten Geschichte mit Goliath benutzte, ist kein Kinderspielzeug. Goliath hatte nicht den Hauch einer Chance gegen den geübten Schleuderer David. Da kommen wir auch schon zum Nachteil: Die Handhabung der Steinschleuder erforderte Geschicklichkeit und ständige Übung. In der Antike wurde militärische Einheiten mit Schleudern oft und gerne eingesetzt. Um die Wirkung der Waffe noch zu verbessern wurden Steine durch Bleigeschosse ersetzt. Dadurch wurde der Einsatz der Schleuderer in der Antike für Archäologen eindeutig belegbar.

Weltmeister im Steinschleudern und Vereinsmitglied Silvio Vass in den Schweizer Alpen bei einem experimentellen Versuch

Die Frage, ob die Verletzungen besonders an den Schädeln im Tollensetal, von einer Steinschleuder stammen könnten, konnte ich bereits Prof. Meller und einem Vertreter des Ausgräberteams während der oben erwähnten Eröffnung der „Krieg-Sonderausstellung“ stellen. Ich bekam eine deutliche Verneinung verpaßt. Zu einer Begründung fehlte bei dem Anlass die Zeit und die Muße. Man feierte sich sichtlich selbst und das ist bei der Eröffnung einer fantastischen Sonderausstellung mit vielen seltenen Exponaten auch in Ordnung so. Ich schrieb damals etwas frustriert: „Über Steinschleuderbeschuss ist nichts bekannt.“ Nach dem Lesen der hier besprochenen Publ. kann ich nun behaupten: Nach den hier vorgelegten Funden und ihrer Auswertung ist eine Verwendung der Steinschleuder nicht sehr wahrscheinlich. Ich möchte das kurz begründen:

Blau: Vorderseite, Rot: Rückseite, Opfer Fundplatz Weltzin 20

Die meisten Verletzungen, die sich in den Skeletten nachweisen ließen, sind durch Pfeil- und Stichverletzungen hervorgerufen worden. Die große Anzahl der Verletzungen im rückwärtigen Bereich lassen auf eine Flucht- bzw. Absetzbewegung der unterlegenden Seite schließen. Der Experimentalarchäologe Harm Paulsen hat einige der Verletzungen mit den nachgewiesenen Waffen nachzustellen versucht. Dies ist im Band ausführlich nachzulesen. Die Hiebverletzungen stammen lt. den Experimenten von Herrn Paulsen von bronzezeitlichen Beilen. Stichverletzungen gehen auf Lanzenspitzen, Messer und in geringer Zahl auf Schwerter zurück. Ein geringfügige Anzahl von Fällen „stumpfer Gewalt“ könnte auch von Steinen stammen. Geschosssteine haben die Archäologen im Gegensatz zu vielen Pfeilspitzen nicht sichern können oder nicht erkannt. Da Holzkeulen im Fundgut vorlagen, die diese Verletzungen nach Experiment hervorrufen können, sind diese tödlichen Verletzungen den Holzkeulen zugeschrieben worden. Es wird sogar die Möglichkeit von gezielten Tötungen von feindlichen Verletzten nach dem Gefecht ins Spiel gebracht. Warum die Holzkeulen danach auf dem Schlachtfeld verblieben, ist unklar. Eine entscheidene Rolle haben lt. Fundgut Pfeil und Bogen gespielt, bevor beide Seiten ins Handgemenge mit Stichwaffen gerieten. Eine Hinterhaltsituation bei der eine Seite bei der Flussüberquerung „in die Zange“ genommen wurde, ist nicht auszuschließen. Überlegungen dazu wurden in der Publ. einige aufgeführt. All dies läßt sich genauso wenig belegen wie der Einsatz von Steinschleuderern. Wäre natürlich schön gewesen, wenn es anders gewesen wäre. Aber anders als beim Hjortspring-Boot-Fund und den dortigen Waffen gibt es hier noch nicht einmal Steine, die als Schleudergeschosse denkbar gewesen wären. Fazit: Die erste Schlacht in Europa fand ohne den Einsatz der Steinschleuder statt.

Text: Torsten Kreutzfeldt, Fotos: 1. To. Kreutzfeldt, Foto 2: Verlag wbg Theiss, Foto 3: Silvio Vass, Foto 4: Verlag, Foto Cover: Verlag

Titelangaben:

Tollensetal 1300 v. Chr.
Das älteste Schlachtfeld Europas. 120 schwarz-weiße Abbildungen.

Das älteste Schlachtfeld Europas. 120 schwarz-weiße Abbildungen.
Herausgegeben von Joachim Krüger, Gundula Lidke, Sebastian Lorenz, Thomas Terberger
wbg Theiss – August 2020 – 112 Seiten – gebunden 28,00 € – ISBN: 3806241929

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